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„Promising Young Woman“: Ein sehenswerter Schlag in den Schritt

Mit „Promising Young Woman“ startet am 19. August ein Film in die Kinos, der einigen Zuschauern den moralisch sicher geglaubten Boden unter den Füßen wegzieht.

Fast vier Monate ist es schon wieder her, dass Emerald Fennell (35) für „Promising Young Woman“ bei den diesjährigen Oscars die Trophäe für das „Beste Originaldrehbuch“ gewann. Bis dahin hatte sich die Britin vor allem als Schauspielerin einen Namen gemacht, etwa als junge Ausgabe von Herzogin Camilla in der Netflix-Serie „The Crown“. Ihr umjubeltes Regiedebüt kommt ab dem 19. August nun endlich auch in die hiesigen Kinos und gibt dem Publikum nicht nur eine herausragende Carey Mulligan (36), sondern auch einiges zum Nachdenken.

Leichte Beute? Darum geht es

Jede Woche geht Cassandra „Cassie“ Thomas auf sich allein gestellt in eine Bar oder einen Club. Jede Woche betrinkt sie sich dabei hemmungslos und kauert wenig später beinahe bewusstlos in einer Ecke. Und jede Woche kommt ein netter Kerl zu ihr, um nach dem Rechten zu schauen – und um sie abzuschleppen. Doch hier ist die Sache: Die vermeintlich leichte Beute ist in Wirklichkeit stocknüchtern und hat nur darauf gewartet, dass jemand ihre offensichtlich schutzlose Lage ausnutzt.

Dass Cassie sich ein ums andere Mal in diese riskante Situation begibt, hat einen tragischen Grund. Ihre beste Freundin Nina wurde in einem ebenso wehrlosen Zustand vergewaltigt und hat das daraus resultierende Trauma nie überwinden können. Mehr noch: Sie wurde öffentlich als Schlampe hingestellt, während der Täter Karriere machte und bis zum heutigen Tag höchstes Ansehen genießen darf. Wie Nina warf Cassie nach dem Vorfall dagegen ihr Medizinstudium hin, um sich um ihre Kindheitsfreundin kümmern zu können – mit Folgen. Sie wurde von der „Promising Young Woman“ – der vielversprechenden jungen Frau und angehenden Ärztin – zu einer verschrobenen Einzelgängerin, die in einem Café jobbt und noch bei ihren Eltern wohnt. Und den „netten Kerlen“ Woche um Woche einen Denkzettel verpasst.

Der etwas andere Rache-Thriller

Filmhistorisch gibt es bei Rache-Geschichten mit wenigen Ausnahmen genau zwei Gangarten. Männliche Protagonisten wie „John Wick“ machen aus ihrem Vergeltungsfeldzug ein Actionfeuerwerk. Weibliche Figuren müssen sich hingegen vornehmlich durch (zuweilen höchst problematische) Exploitationfilme mit Horror-Einschlag quälen, wie etwa in „I Spit On Your Grave“ oder „The Last House On The Left“.

„Promising Young Woman“ wählt einen anderen Ansatz. Cassie „wirft sich kein Kleid über und schnappt sich eine AK-47“, um Rache zu üben, wie Regisseurin Fennell im Gespräch mit der „Los Angeles Times“ erklärte. Ihr war es wichtig, dass ihre zierliche Hauptfigur nicht per Waffengewalt versucht, das Kräftegleichgewicht auf ihre Seite zu kippen. Auch hat die Protagonistin durch ihre unbändigen Rachegelüste nicht urplötzlich übernatürliche Kräfte. Untypisch für das Genre ist „Promising Young Woman“ mit diesem Kniff in einem realistischen Setting verortet. Das verleiht den Szenen, in denen Cassie ihre nächtlichen, zumeist weitaus stämmigeren Begleiter konfrontiert, eine beklemmende Spannung. Und ein Finale, das einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen wird.

Das Alleinstellungsmerkmal von „Promising Young Woman“ ist aber ein anderes. Denn mit einer einzigen Ausnahme ist Cassie durchaus dazu bereit, zu vergeben. So in einer kurzen, aber denkwürdigen Szene mit Schauspieler Alfred Molina (68), die den inneren Konflikt beider Figuren eindrucksvoll offenlegt. Außerdem gibt Cassie den „netten Kerlen“ im Verlauf des Partyabends mehrfach die Chance, sich wirklich als nette Kerle zu entpuppen. Jedenfalls, bis für sie ohne Zweifel abzusehen ist, dass dem eben nicht so ist und sie einen weiteren Strich in ihrem Notizbuch machen muss.

Ich bin doch einer von den Guten. Oder?

Angreifbar macht sich „Promising Young Woman“ auf den ersten Blick dadurch, dass er männliche Figuren mit kaum einer Ausnahme als toxische Raubtiere darstellt. Aber das liegt nun einmal an der grundlegenden Prämisse des Films, in der eine Frau ganz bewusst eine Situation fingiert, die solche Exemplare anlockt. Der Streifen zeigt keinen Ritter in schillernder Rüstung, der Cassie mit einem 50-Dollar-Schein in ein Taxi steckt, das sie dann zum Ausnüchtern allein vor die eigene Haustüre fährt.

Um diesen Punkt zu unterstreichen, wurden bewusst männliche Darsteller engagiert, die sonst zumeist den Charmebolzen oder das Unschuldslamm spielen – „O.C., California“-Star Adam Brody (41) etwa, oder Comedy-Schauspieler Christopher „McLovin“ Mintz-Plasse (32). Ja, diese Darstellung wird einige männliche Zuschauer gegebenenfalls vor den Kopf stoßen. Aber das ist vielleicht mal ganz gut so. Ebenso wie die Tatsache, dass Emerald Fennell darlegt, wie auch andere Frauen Teil der Slutshaming-Problematik sein können.

Fazit:

Wie Hauptdarstellerin Carey Mulligan durch diese diffizile Thematik wirbelt, ist schlichtweg herausragend. Es mag müßig sein, aber: Wäre bei der 93. Oscar-Verleihung nicht Frances McDormand (64) ihre Konkurrentin um den Goldjungen als „Beste Hauptdarstellerin“ gewesen, wahrscheinlich hätte Mulligan neben Fennell ihre Dankesrede halten dürfen. Verdient hätte sie es allemal gehabt. Zumal, und das kann nicht stark genug betont werden, sie es trotz der Schwere des Inhalts schafft, auch Humor in ihre Rolle mit einzubringen. Im krassen Kontrast hierzu steht das schonungslose Ende des Films. Da gibt es absolut nichts zu lachen – aber einiges zu verdauen.