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Lars Eidinger: „In der DDR war nicht alles schlecht“

Lars Eidinger: „In der DDR war nicht alles schlecht“

Lars Eidinger ist im neuen Polit-Drama „Nahschuss“ zu sehen. Darin wird die Todesstrafe in der DDR thematisiert. Welche Erinnerungen der in West-Berlin geborene Schauspieler mit der Mauer verbindet, erzählt er im Interview.

Vor über 30 Jahren fiel die Berliner Mauer und noch immer gibt es einige Kapitel in der Geschichte der DDR, die nicht allen bekannt sind. Das Polit-Drama „Nahschuss“, das am 12. August in den deutschen Kinos startet, thematisiert das Leben von Dr. Werner Teske. Er wurde 1981 als letzter Mensch in der Deutschen Demokratischen Republik zum Tode verurteilt und hingerichtet.

In der Hauptrolle glänzt Ausnahmetalent Lars Eidinger (45). Er spielt den frisch promovierten Franz Walter, der beim Ministerium für Staatssicherheit arbeitet und langsam daran zerbricht. „Ich war 13 Jahre alt, als die Mauer gefallen ist und für mich war sie ganz selbstverständlich“, blickt der Schauspieler, der in West-Berlin geboren und aufgewachsen ist, im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news zurück.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erste Mal das Drehbuch zu „Nahschuss“ gelesen haben?

Lars Eidinger: Ich habe mich für den Film entschieden, noch bevor ich überhaupt das Drehbuch gelesen habe. Ich habe Franziska Stünkel [Regie und Drehbuch] in Hamburg getroffen, weil sie mir von einem Filmprojekt erzählen wollte. Sie hat mir nur die Geschichte erzählt und das hat mich bereits eingenommen. Das ist drei oder vier Jahre her und seitdem standen wir in Kontakt. Irgendwann hat sie mir das Drehbuch geschickt und das fand ich sensationell. Es reizt mich, wenn ich zentrale Figuren spiele, über die eine ganze Geschichte erzählt wird. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, das nachzuempfinden und nachzuleben. Es war eine sehr lustvolle, sehr intensive Arbeit.

Der Film ist an die Lebensgeschichte von Dr. Werner Teske angelehnt. Er war das letzte Hinrichtungsopfer der DDR. Wussten Sie vor dem Film über die Todesstrafe in der DDR Bescheid?

Eidinger: Ich glaube, das weiß kaum jemand. Selbst Devid Striesow, der in der DDR groß geworden ist, wusste das nicht. Ich finde es wichtig, diesen Teil der Geschichte den Leuten aufzuzeigen. Aber auch, welche Zwänge dazu führen, dass man überhaupt Teil dieses Systems wird. Oft ist man rückwirkend verführt zu sagen: Ich wäre im Widerstand gewesen. Aber im Film wird gezeigt, welchen Zwängen die Menschen unterworfen waren. Du willst ihn nicht bespitzeln, dann wird deine Mutter nicht operiert. Wer würde da widerstehen? Man macht es nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus einem Zwang heraus. Die Menschen erlegen sich diese Zwänge gegenseitig auf. Jemand wird unter Druck gesetzt, dieser macht das wiederum mit anderen Menschen. Es ist eine Massenbewegung. Die Mehrheit war verstrickt in diesem System. Nur wenige Leute konnten sich entziehen. Schließlicht ist man sofort in Ungnade gefallen, wenn man nicht für die Staatssicherheit arbeiten wollte. Das ist schon ein wahnsinniger Druck.

Sie wurden 1976 in West-Berlin geboren. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der DDR?

Eidinger: Gar nicht so viele, wie man denken würde. Ich war 13 Jahre alt, als die Mauer gefallen ist und für mich war sie ganz selbstverständlich. Ich habe die Mauer nie infrage gestellt und konnte mir nicht vorstellen, dass sie irgendwann nicht mehr steht. Da ich am Stadtrand groß geworden bin, war sie immer präsent. Dahinter war aber nur Wald. Mich hat es nie interessiert, was dahinter war. Wenn man nur Bäume sieht und einem erzählt wird, wie schlecht es den Leuten dort geht, führt das nicht unbedingt zu einem Interesse. Und das ist ein wichtiger Punkt, dass man sich für das andere System und für diese andere Welt interessiert. Dass man erstmal versucht zu verstehen, was eigentlich los war. Ohne dass man es bewertet und sagt: Das eine System war gut und das andere war schlecht.

Also denken Sie nicht, dass das System in der DDR nur schlecht war?

Eidinger: Das denke ich nicht. Dazu bin ich viel zu sehr von der DDR sozialisiert worden. Ich habe auf der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst in Schöneweide studiert – es war eine Schauspielschule der DDR. Mein erstes Engagement hatte ich am Deutschen Theater in Mitte. Das heißt, ich bin wahnsinnig geprägt von Schauspielern und Dozenten, die alle in der DDR gelebt haben.

Wie stehen Sie dazu, dass manche Leute die DDR-Zeiten romantisieren?

Eidinger: Ich sehe eine Gefahr in der Verharmlosung. Dass das System nicht ernst genommen wird und man so tut, als ob in der Staatssicherheit nur Trottel gearbeitet hätten. Damit wird den Leuten Unrecht getan, die unter diesem System gelitten haben. Deshalb ist es wichtig, zu zeigen, dass es die Todesstrafe gab. Menschen fielen diesem System zum Opfer. Aber deshalb war per se nicht alles schlecht. Dafür habe ich eine viel zu große Sympathie mit der Idee des Kommunismus oder Sozialismus. Und dafür ist meine Kritik am Kapitalismus wiederum viel zu groß.

Sie meinen, es war nicht alles schlimm?

Eidinger: Ich habe vor Kurzem mit einer Maskenbildnerin in Köln zusammengearbeitet. Sie ist aus der DDR geflohen. Sie hatte damals noch unter Heiner Müller am Berliner Ensemble gearbeitet. Sie und alle anderen haben ein Gastspiel dazu genutzt, um zu fliehen – alle Schauspieler waren schon vor der Premiere weg. Ich hatte das Gefühl, dass die Frau ein Bewusstsein für das System hatte und bewusst geflohen ist – auch aus dem Gedanken des Widerstandes. Aber sie hat auch von freier Liebe erzählt. Man hat es im Westen probiert, in der DDR wurde es gelebt. Sie tanzten nackt auf den Dächern über dem Prenzlauer Berg. Daher rühren Sätze wie: So schlimm war es gar nicht. Natürlich hatten die Menschen auch eine gute Zeit. Es war nicht immer alles nur trist in der DDR. Das ist viel zu einfach gedacht.

Das ist für Lars Eidinger „besser als jede Droge“

Das ist für Lars Eidinger „besser als jede Droge“

Lars Eidinger spielt im Film „Nahschuss“ einen Stasi-Mitarbeiter, der zum Alkohol greift, um mit seinen Problemen fertig zu werden. Eidinger selbst „hatte noch nie eine Flasche Whisky zu Hause“, wie er im Interview verrät.

Im neuen Film „Nahschuss“, der am 12. August in den deutschen Kinos startet, übernimmt Schauspieler Lars Eidinger (45) die Hauptrolle des Stasi-Mitarbeiters Franz Walter. Seine Figur greift immer mehr zum Alkohol, um mit seinen Problemen fertig zu werden. Eidinger selbst „hatte noch nie eine Flasche Whisky zu Hause“. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht er über seine Einstellung zu Drogen und warum er sich nach dem Dreh von Sexszenen manchmal wie ein Vergewaltiger vorkommt.

An Ihrer Seite in „Nahschuss“ spielt neben Devid Striesow auch Luise Heyer. Wie hat Ihnen die Zusammenarbeit gefallen?

Lars Eidinger: Ich kannte Luise vorher nicht. Im Gegensatz zu Devid Striesow, mit dem ich sogar studiert habe – wir waren zusammen in einem Jahrgang. Ich habe in Luise ein Gegenüber gefunden, das sehr viel zulässt und einem vertraut. Wir konnten uns auf einer sehr emotionalen Weise begegnen. Luise hatte eine große Bereitschaft, den Schmerz der Figur zuzulassen, nachzuspüren und in die Tiefe zu gehen. Es gibt Schauspieler, was ich auch verstehen kann, die sich aus gewissen Situationen rausziehen. Aber Luise hat sich fallen lassen.

Im Film gibt es auch eine Sexszene mit ihr. Hat sich beim Drehen solcher Szenen seit #MeToo etwas verändert?

Eidinger: Es hat sich etwas verändert. Wir haben uns die Zeit genommen, zu überlegen, was geht und was nicht. So kenne ich das auch. Damit man nicht Gefahr läuft, dass im Nachhinein jemand sagt: „Ich musste etwas machen, was ich nicht wollte.“ Es macht auch einen Unterschied, ob eine Frau Regie führt. Luise und unsere Regisseurin Franziska Stünkel waren sehr im Austausch. Für Luise hätte es den Raum gegeben, zu sagen: „Das mag ich nicht.“ Das heißt, sie war damit einverstanden. Bei einem anderen Filmprojekt war eine Intimitätsbeauftragte am Set. Da gab es einen großen Aufschrei. Manche Schauspieler haben gefragt: „Wer hat die denn jetzt ans Set geholt?“ Ich finde es gut, jemanden am Set zu haben, zu dem man in keiner Abhängigkeit steht. Denn das ist genau das Problem.

Inwiefern?

Eidinger: Wenn ich als Frau das Gefühl habe: Ich will das nicht, aber ich kann es dem Regisseur nicht sagen, weil ich Angst habe, er ist enttäuscht oder besetzt mich nicht mehr, dann mache ich etwas, was ich eigentlich gar nicht wollte. Das ist Machtmissbrauch. Deshalb ist es gut, jemanden zu haben, der eine gewisse Neutralität wahrt, mit dem ich reden und der meine Bedenken kommunizieren kann. Was ich interessant fand: Die Intimitätsbeauftragte war aus der Pornoindustrie. Es ist also keine Person, die frigide ist und Sexualität problematisiert. Im Gegenteil: Es ist jemand, der sich mit Sexualität und Intimität auskennt. Ich finde es richtig, einen Fachmann dabei zu haben. Es gibt schließlich auch einen Stuntkoordinator. Man braucht jemanden, der sich auskennt und der einem sagt, wie man es macht, ohne Verletzungen davonzutragen.

Solche Szenen zu drehen, ist für beide Seiten nicht unbedingt angenehm.

Edinger: Es sind in der Regel keine Szenen, auf die man sich freut. Oft ist die Atmosphäre sehr angespannt. Das Seltsame: Nach dem Abdrehen der Sexszene kommen immer Leute rein, die sofort Decken um die Frau legen. Der Mann steht einfach daneben. Es fühlt sich so an, als ob ich sie vergewaltigt hätte.

Franz greift im Film zum Alkohol, um mit seinen Problemen fertig zu werden. Was ist Ihr Mittel?

Eidinger: Ich habe vor Kurzem für den Kieler „Tatort“ in Hamburg gedreht. Als ich in mein Hotelzimmer kam, hat mir die Produktion eine Whisky-Flasche hingestellt. Und ich dachte mir: Du kannst einem Schauspieler doch keinen Alkohol hinstellen, wenn du mit ihm am nächsten Tag noch arbeiten willst. Ich hatte noch nie eine Flasche Whisky zu Hause, aber ich habe mir ein Glas eingeschenkt und hatte ein richtig gutes Gefühl. Ich konnte auch gut schlafen. Es ist verführerisch, aber man muss vorsichtig sein. Ich habe aber keine Veranlagung zu Drogen – auf der Schauspielschule habe ich nicht mal geraucht und ich habe spät angefangen, überhaupt Bier zu trinken. Kokain habe ich noch nie genommen.

Wie schalten Sie nach einem harten Arbeitstag ab?

Eidinger: Für mich ist der wichtigste Ausgleich Spazierengehen. Das klingt spießig, aber ich liebe es, durch Städte zu laufen. Das ist für mich absolute Erholung, ich werde dabei ganz ruhig. Es ist für mich das Schönste auf der Welt, einfach aufzustehen, rauszugehen und loszulaufen. Nicht zu wissen, wohin. Das ist für mich besser als jede Droge.

Ihre Figur ist Amateurfußballer – können Sie privat mit dem Sport etwas anfangen?

Eidinger: Ich bin ein sehr guter Fußballer. Aber ich bin kein Fußball-Fan, war erst zweimal in einem Stadion. Ich habe schon immer lieber gespielt als zugeschaut. Ich war sogar zweimal Berliner Meister mit dem FC Stern Marienfelde.

Die Kino-Tipps im August

Die Kino-Tipps im August

Die Kino-Tipps im August

Der August wartet mit einigen Oscar-Ausläufern auf, etwa „The Father“ mit Anthony Hopkins oder „Promising Young Woman“ mit Carey Mulligan. Im zweiten Anlauf soll es mit der Neuauflage von „The Suicide Squad“ klappen. Für die Familie gibt es „Tom & Jerry“, für Drama-Fans den Stasi-Film „Nahschuss“.

Nach dem furiosen Kino-Comeback im Juli geht es auch im August munter mit einigen vielversprechenden Filmen weiter. Etwa mit dem Drama „The Father“, für das Sir Anthony Hopkins (83) im April dieses Jahres mal eben zum ältesten Gewinner eines Hauptdarsteller-Oscars gekürt wurde. Mit „The Suicide Squad“ will derweil Regisseur James Gunn (54) alles daran setzen, die Antihelden-Truppe in ihrem zweiten Leinwand-Versuch endlich gebührend zu inszenieren. Die beiden liebsten Feinde „Tom & Jerry“ bringen Familienunterhaltung ins Kino, Carey Mulligan (36) geht in „Promising Young Woman“ auf etwas anderen Männerfang und Lars Eidinger (45) gerät in „Nahschuss“ in die Fänge der Stasi.

„The Suicide Squad“, 5. August

Willkommen in der Hölle – auch bekannt als Belle Reve, das Gefängnis mit der höchsten Sterblichkeitsrate in den USA. Hier sitzen die schlimmsten Superschurken ein und würden alles tun, um wieder herauszukommen – selbst der streng geheimen, zwielichtigen Spezialeinheit Task Force X beitreten. Schon bald begibt sich ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Verbrechern auf tödliche Mission, darunter Bloodsport, Peacemaker, Captain Boomerang, King Shark – und natürlich jedermanns Lieblingspsychopathin Harley Quinn (Margot Robbie, 31). Wie immer gilt: Eine falsche Bewegung und der Kopf explodiert!

Einschätzung:

Trotz grandioser Besetzung war der erste Leinwand-Ausflug des DC-Selbstmordkommandos von 2016 unter der Regie von David Ayer (53) eine herbe Enttäuschung. Mit James Gunn wurde für den nun zweiten Versuch aber ein Filmemacher ins Boot geholt, der durch seine „Guardians of the Galaxy“-Streifen eindrucksvoll bewiesen hat, Comic-Klamauk wie kein Zweiter zu beherrschen. Der rabiate Haimann King Shark, im Original einsilbig von Sylvester Stallone (75) vertont, hat zudem das Potenzial zum neuen Fanliebling.

„Tom & Jerry“, 12. August

Maus Jerry zieht in das vornehmste Hotel New Yorks ein – und zwar ausgerechnet einen Tag bevor dort die prächtigste Hochzeit des Jahrhunderts stattfinden soll. Der verzweifelten Hochzeitsplanerin (Chloë Grace Moretz, 24) bleibt nichts anderes übrig, als Kater Tom zu engagieren, um den ungebetenen Gast loszuwerden. Dem anschließenden Katz-und-Maus-Spiel droht ihre Karriere, die Hochzeit und möglicherweise das Hotel selbst zum Opfer zu fallen. Doch schon bald taucht ein noch größeres Problem auf: ein teuflisch ehrgeiziger Mitarbeiter, der sich gegen alle drei verschwört.

Einschätzung:

„Manchmal spielt das Leben mit dir gern Katz‘ und Maus, immer wird’s das geben, einer der trickst dich aus…“: Die Zeichentrickserie „Tom & Jerry“ gewann hierzulande auch durch den Intro-Song von Udo Jürgens (1934-2014) immens an Charme. Für ihre Hatz auf der Leinwand erobern die beiden liebsten Cartoon-Feinde nun die reale Welt. Ganz so, wie es schon 1988 bei „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ der Fall gewesen ist. Für Nostalgiker unter Umständen eine gewöhnungsbedürftige Entscheidung, für ein neues, junges Zielpublikum aber wohl die genau richtige Frischzellenkur.

„Nahschuss“, 12. August

Der junge Franz Walter (Lars Eidinger) hat gerade an der Humboldt-Universität promoviert, als er ein attraktives Angebot vom Auslandsnachrichtendienst der DDR erhält. Geblendet von den vielen Vorzügen, die der neue Job mit sich bringt, nimmt Franz das Angebot an. Zunächst scheinen Franz‘ Missionen lediglich dem Informationsbedarf der DDR zu dienen, doch dieser wird bald größer und monströser. Als Franz bei seinen Arbeitsaufträgen plötzlich zu Mitteln greifen muss, die er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren kann, entschließt er sich auszusteigen – doch der Geheimdienst will ihn nicht gehen lassen.

Einschätzung:

Eine durch innere Konflikte mit ihrem Gewissen zerrissene Figur – die wohl perfekte Rolle für Charakterdarsteller Lars Eidinger. Dies auch noch im Setting der DDR und steter Stasi-Überwachung… natürlich kommt einem da umgehend der Oscar-Film „Das Leben der Anderen“ unverhohlen in den Sinn. Der Film von Franziska Stünkel (48) ist von der Lebensgeschichte eines Manns namens Werner Teske inspiriert, der als einer der letzten Hinrichtungsopfer der DDR gilt. Auch aus geschichtlicher Sicht ist „Nahschuss“ ein bedeutsamer Film.

„Promising Young Woman“, 19. August

Sie ist verführerisch, extrem gerissen und ihre Rache wird bittersüß! Von Cassie (Carey Mulligan) hieß es immer, sie sei eine vielversprechende junge Frau. Aber jetzt findet man sie immer öfter abends, vermeintlich betrunken, in einer Bar. Welcher Mann erwartet da noch etwas von ihr – außer leichte Beute zu sein? Ein fataler Irrtum, der den aufdringlichen Männern zum Verhängnis wird.

Einschätzung:

Zwar musste sich Carey Mulligan bei den diesjährigen Oscars für ihre Darbietung in „Promising Young Woman“ am Ende Frances McDormand geschlagen geben. Ihre Nominierung als „Beste Hauptdarstellerin“ macht aber deutlich, wie beeindruckend ihre Leistung in dem Film ist, der gerne als #MeToo-Thriller bezeichnet wird. Der große Rummel um die Bewegung mag seit der Corona-Pause vielleicht abgeebbt sein. Das Thema selbst bleibt so aktuell wie eh und je.

„The Father“, 26. August

Anne (Olivia Colman, 47) ist in großer Sorge um ihren Vater Anthony (Anthony Hopkins). Als lebenserfahrener stolzer Mann, lehnt er trotz seines hohen Alters jede Unterstützung durch eine Pflegekraft ab und weigert sich standhaft, seine komfortable Londoner Wohnung zu verlassen. Obwohl ihn sein Gedächtnis immer häufiger im Stich lässt, ist er davon überzeugt, auch weiterhin allein zurechtzukommen. Doch als Anne ihm plötzlich eröffnet, dass sie zu ihrem neuen Freund nach Paris ziehen wird, ist er verwirrt. Wer ist dann dieser Fremde in seinem Wohnzimmer, der vorgibt, seit über zehn Jahren mit Anne verheiratet zu sein?

Einschätzung:

Die Oscar-Academy sah zur Überraschung vieler kein Vorbeikommen an Anthony Hopkins. Folglich bekam nicht der an Krebs verstorbene Chadwick Boseman, sondern der nun älteste Preisträger aller Zeiten den Goldjungen als „Bester Hauptdarsteller“ überreicht. Das mag einige verärgert haben, zeigt aber auch, wie unfassbar stark Hopkins‘ Leistung als demenzkranker, verwirrter Mann in „The Father“ ist. Die Thematik des Streifens ist eine schwere, ja vielleicht sogar übermannende. Gerade, weil sich wohl ein jeder früher oder später selbst mit ihr konfrontiert sieht. Schwere, aber sehenswerte Kost.

„Proxima – Die Astronautin“: Familiendrama mit Sci-Fi-Einschlag

„Proxima – Die Astronautin“: Familiendrama mit Sci-Fi-Einschlag

„Proxima – Die Astronautin“ zeigt, wie emotional beschwerlich die Reise ins Weltall sein kann, lange bevor die Atmosphäre verlassen wurde.

Wenn ein Film den Beinamen „Die Astronautin“ spendiert bekommt, bringt das zwangsläufig gewisse Assoziationen mit sich. Beklemmende Szenen im luftleeren Raum kommen einem in den Sinn. Technische Probleme an Bord des Raumschiffs, die es nervenaufreibend zu überwinden gilt. Und natürlich auch Schauwerte, die buchstäblich nicht von dieser Welt sind. Die französisch-deutsche Koproduktion „Proxima“ von Regisseurin Alice Winocour (45), die am 24. Juni ins Kino kommt, geht jedoch einen anderen Weg. Sie macht aus dem Streben nach den Sternen ein sehr weltliches Familiendrama.

Hin- und hergerissen: Darum geht es

Für Astronautin Sarah (Eva Green, 40) hat sich ein lebenslanger Traum erfüllt. Sie wurde für die „Proxima“-Crew auserkoren, die zur ISS fliegen und die erste bemannte Reise zum Mars vorbereiten soll. Während ihrer nerven- wie kraftraubenden Vorbereitung auf die Reise ins All muss sie sich nicht nur den Respekt ihrer durchweg männlichen Kollegen erarbeiten, darunter der US-amerikanische Leiter der Mission, Mike (Matt Dillon, 57). Mit jedem verstrichenen Tag, durch den die einjährige Mission unweigerlich näher rückt, macht sie sich größere Sorgen um ihre Tochter Stella, die sie auf der Erde zurücklassen muss.

Die Siebenjährige für die Dauer der Mission in der Obhut ihres leiblichen Vaters Thomas (Lars Eidinger, 45) zu lassen, bereitet Sarah Bauchschmerzen. So starke, dass sie ernsthaft darüber nachdenkt, die Chance ihres Lebens doch noch verstreichen zu lassen. Ein unlösbarer Konflikt scheint sich vor ihr aufzubauen: Würde sie es sich je verzeihen, in den Weltraum zu fliegen und ihre Tochter zurückzulassen? Und würde sie es sich je verzeihen, es nicht zu tun?

Karriere oder Familie?

„Proxima“ stellt auf denkbar extreme Weise die oft diskutierte Frage, bis zu welchem Grad sich Karriere und Familie miteinander vereinbaren lassen. Dabei macht es der Film – wie in unserer Gesellschaft noch immer üblich – zu einem Konflikt, dem sich vornehmlich die weibliche Protagonistin gegenübersieht. Keinem von Sarahs männlichen Astronauten-Kollegen bereitet der Gedanke jedenfalls allzu schlaflose Nächte, dass sich ihre Frau allein um die Kids kümmern muss, während sie das Weltall bereisen.

Das macht aus Eidingers Figur zwangsläufig eine eher undankbare Rolle. Zwar darf er Vater Thomas einfühlsam, liebenswert und ja, auch fürsorglich darstellen. Zugetraut, dass er für ein Jahr allein auf seine Tochter aufpassen kann, wird ihm dennoch nicht. Neben Eidinger ist in einer weiteren kleinen Rolle übrigens noch Sandra Hüller (43, „Toni Erdmann“) zu sehen. Als Psychologin versucht sie, Mutter und Tochter auf die bevorstehende Trennung vorzubereiten.

Ruhige Momente dominieren

Bei „Aufbruch zum Mond“, Damien Chazelles (36) Biopic über den ersten Mann auf dem Mond, Neil Armstrong (1930-2012), hielten sich weltliches Drama und Weltraum-Erkundung noch ungefähr die Waage. Bei „Proxima“ schlägt das Pendel hingegen noch einmal deutlich in Richtung Familiendrama aus. Theoretisch hätte Figur Sarah für ein Jahr auch einen Job am anderen Ende der Welt annehmen können, ihr innerer Konflikt wäre wohl derselbe gewesen. Einzig die Endgültigkeit, mit der sich Mutter und Tochter für ein Jahr lang nicht von Angesicht zu Angesicht sehen können, ist durch das Setting noch klarer abgesteckt.

Weltraum-Feeling kommt bei „Proxima“ sporadisch auf, etwa, wenn Sarah und ihre Kollegen in Raumanzügen und unter Zeitdruck für den Ernstfall trainieren. Wer aber angesichts des Titels, des Trailers oder der Bilder mehr Sci-Fi erwartet, wird enttäuscht. Herzstück des Films sind die rührende und zunehmend komplizierte Beziehung zwischen Mutter und Tochter und die beidseitigen Trennungsängste. Hier brilliert neben Green, die voll in ihrer Rolle aufgeht, die Nachwuchsschauspielern Zélie Boulant-Lemesle und empfiehlt sich für weitere Leinwand-Einsätze.

Fazit:

„Proxima – Die Astronautin“ ist ein sehr einfühlsamer Film, der sich stellenweise wie eine begleitende Doku über eine Weltraum-Pionierin anfühlt. Wer auf kometenhafte Science-Fiction hofft, wird von einem bodenständigen Drama überrascht und wohl zwangsläufig enttäuscht. Mit der richtigen Erwartungshaltung bietet „Proxima“ hingegen vor allem in seinen leisesten Momenten die lauteste Botschaft.